Für lange Zeit galten sie als verstaubt und nur wenig attraktiv. Nur die wenigsten Angestellten wollten in Mitarbeiterwohnungen leben. Doch nun scheint sich das Blatt zu wenden. In Zeiten fehlenden Wohnraums buhlen Unternehmen wie VW mit Apartments um die Gunst potentieller Arbeitnehmer. Doch ist dieses Konzept Fluch oder Segen?

Hunderte an neuen Mitarbeiterwohnungen sind geplant
Die eigenen vier Wände in der Firma beziehen. Dieses Konzept klingt eigentlich wenig überzeugend. Dennoch kommen Mitarbeiterwohnungen zunehmend in Mode. Durch die hohe Wohnungsknappheit in deutschen Städten erfreuen sich Mitarbeiterwohnungen zunehmender Beliebtheit. Deshalb setzen Firmen wie Volkswagen mehr und mehr auf diese Konzepte. In den nächsten Jahren möchte der Fahrzeughersteller mehrere hundert Mitarbeiterwohnungen am Stammsitz in Wolfsburg erbauen. Diesen Plan hat der Geschäftsführer von Volkswagen Immobilien – Meno Requardt – unlängst bestätigt.
Werkswohnungen boomten in den 1970er Jahren
Das Konzept hinter dieser Idee ist schnell erklärt. Wer potentiellen Fachkräften einen Anstellungsvertrag und Wohnraum bieten kann, steigert seine Attraktivität als Arbeitgeber. Schließlich sind die Angestellten dadurch nicht verpflichtet, eine mühsame Wohnungssuche zu starten. Das Konzept hat sich in der Vergangenheit schon einmal bewährt. Bereits in den 1970er Jahren existierten laut Aussagen des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen – dem GdW – rund 450.000 Mitarbeiterwohnungen, die in erster Linie Staatsunternehmen wie der Deutschen Bahn oder Deutschen Post angehörten. Allerdings wurden die Wohnungen im Laufe der Zeit schrittweise veräußert. Als Interessenten kamen Vorgänger aktueller Immobilienspezialisten wie Vonovia in Betracht. Aktuell beläuft sich der Anteil an Werkswohnungen in Deutschland laut Schätzungen der GdW auf knapp 100.000 Immobilien.
Große Pläne für die folgenden Jahre
Diese Anzahl möchte VW nun deutlich erhöhen. Wie Requardt betonte, werden allein im Jahr 2019 rund 145 Wohnungen in möblierten Business-Apartments, im Wellekamp oder Stadtquartier Steimker Gärten fertiggestellt. Für 2020 hat VW ebenfalls große Pläne. Dann sollen auf VW-eigenen Flächen über 100 neue Wohnungen in den Steimker Gärten sowie ungefähr 50 Mietwohnungen im Stadtteil Fallersleben dazu kommen. Mit diesem Konzept möchte VW seinen Mitarbeitern den Start ins Berufsleben bei dem Fahrzeugkonzern erleichtern. Schließlich sind die Mitarbeiterwohnungen auch für die Fachkräfte eine interessante Option, die nicht unbedingt Wohneigentum kaufen möchten. Dafür greift VW auch tief in die Tasche. Wie Requardt erklärt, steht für diese Vorhaben ein Budget von jährlich rund 20 Millionen Euro für Bestandswohnungen sowie 15 bis 20 Millionen Euro für Neubauwohnungen zur Verfügung. Geplant sind etwa 9.300 Wohnungen. Mit dieser Anzahl wäre die Immobilientochter von VW einer der größten Vermieter im Raum Wolfsburg.
Verschiedene Konzerne bauen auf das Konzept
Während ein Großteil aller bereits existenten VW-Wohnungen in den 1990er Jahren leerstand, sind heute ungefähr 2.000 Interessenten für die Immobilien registriert. Etwa 70 Prozent aller Neubauwohnungen sind Mitarbeitern vorbehalten. Weitere 15 Prozent werden an Pensionäre verteilt. Preiswerter als andere Wohnungen sind die Apartments jedoch nicht. Wer eine besonders günstige Wohnung ergattert, kann mit einem Quadratmeterpreis von 7 Euro für die Kaltmiete rechnen. Neubauten wechseln hingegen für ein Minimum von 11 Euro den Besitzer. Schließlich soll die Vermietung auch für VW Immobilien ein Plusgeschäft sein. Allerdings ist VW auch nicht das einzige deutsche Unternehmen, das seinen Angestellten Mitarbeiterwohnungen anbietet. Kommunale Unternehmen wie die Stadtwerke München, diverse mittelständische Unternehmen, die Deutsche Bahn oder BASF vermitteln ebenfalls Werkswohnungen. Ein gutes Beispiel ist die Deutsche Bahn, die ab Juli 2019 ein neues Kooperationsprojekt mit einer Baugenossenschaft in München ankündigte. Das Resultat ist vielversprechend: Bahn-Mitarbeiter profitieren von dem Angebot, 15 Jahre lang zum günstigen Preis in einer von über 70 Wohnungen residieren zu dürfen. Eine solche Vermietung ist für die Unternehmen zwar mit einigem Aufwand verbunden. Doch insbesondere in Städten mit einem besonders angespannten Immobilienmarkt bietet der Wohnraum für Personal ein hohes Potential. Dennoch sind die Unterkünfte keine Schnäppchen. Denn für Normalverdiener sind Mitarbeiterwohnungen auch im Raum München nur schwer erschwinglich.
Initiative durch BASF
Darf sich der deutsche Arbeits- und Immobilienmarkt nun auf ein neues Zeitalter einstellen, in denen Werkswohnungen durch Konzerne wie Thyssenkrupp oder BASF in Massen aus dem Boden sprießen? Diese Frage lässt sich aktuell gewiss nur schwer beantworten. Doch Fakt ist, dass in Zeiten der Industrialisierung in Städten wie Ludwigshafen große Wohnungsnot herrschte. Die Firmen reagierten. So ließ BASF schon in den 1870er Jahren rund 400 Wohneinheiten im Ludwigshafener Stadtteil Hemshof erbauen. Heute befinden sich rund 6.000 Wohnungen im Besitz der BASF-Tochter Wohnen und Bauen, die in Ludwigshafen und dessen Umland Wohnraum zur Verfügung stellt. Alljährlich kommen weitere Wohnungen dazu. Dann steht es den zumeist im Konzern beschäftigten Mietern frei, ob sie sich die Miete vom Gehalt abziehen lassen oder direkt an BASF bezahlen. Die Reichweite der Mitarbeitergruppen reicht laut Aussage von BASF von Auszubildenden bis hin zu Führungskräften. Wer irgendwann nicht mehr für das Unternehmen tätig ist, kann trotzdem in dem Firmenapartment verweilen.
Ein Tropfen auf dem heißen Stein
Heute ist sich der Immobilienverband GdW sicher, dass Mitarbeiterwohnungen ein probates Mittel gegen die aktuell bestehende Wohnungsnot sind. Wird Wohnraum auf dem Hab und Gut der Firmen errichtet, sinkt automatisch das Immobilienproblem in Deutschlands Großstädten. Die Bundesregierung betrachtet diese Entwicklung ebenfalls mit Wohlwollen. Hier ist sogar von einer steuerlichen Förderung die Rede. Mieter sollen von einem Steuerfreibetrag profitieren, falls sie den Wohnraum vom Arbeitgeber günstiger erhalten und dadurch einen geldwerten Vorteil erlangen. Trotz dieser Vorteile ist ein Mitarbeiterwohnungs-Boom wie im 19. Jahrhundert relativ unwahrscheinlich. Vielmehr nutzen vereinzelte Unternehmen dieses Immobilienkonzept als potentielles Marketinginstrument, um Mitarbeiter zu gewinnen. Der Immobilienmarkt wird durch dieses Modell zwar leicht, aber nicht in hohem Maße entlastet. Doch auch kleine Entwicklungen helfen bei der aktuellen Wohnungsnot weiter.
Vor- und Nachteile genau gegeneinander abwägen
Ob eine Mitarbeiterwohnung für eigene Zwecke in Betracht kommt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Denn hier und da gibt es schon einen Haken. Treten beispielsweise Streitigkeiten um Reparaturen auf, sind Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber die logische Folge. Außerdem sollten sich die Mieter in spe vor Augen führen, in ihrer direkten Nachbarschaft von Kollegen umgeben zu sein. Weiterhin sollten sich Interessenten sofort erkundigen, ob sie die Mitarbeiterwohnung im Falle einer Kündigung automatisch verlieren. In diesem Fall binden sich Angestellte in mehrfacher Hinsicht an ihren Arbeitgeber.